Dreifacher Finger in Bestform beschert Senne späten Sieg der Moral – trotzdem muss sich der Waldbadexpress Mentalitätsfragen stellen…

(sm) Durch drei Treffer gegen in der Schlussviertelstunde stark abbauende Gastgeber hat der Waldbadexpress aus einem 1:3 Rückstand noch einen 4:3-Sieg herausgeholt. Dabei war Timon Finger mit drei Toren der überragende Senner auf dem Platz, allerdings legte ein anderer Senner den Schalter um, der erst spät ins Match geworfen wurde.

 

Philipp Schlegels Freistoß war die erste Annäherung der Senner an das Tor der Gastgeber.
Philipp Schlegels Freistoß war die erste Annäherung der Senner an das Tor der Gastgeber.

Bereits in wenigen Stunden oder vielleicht auch schon jetzt, wird kein Hahn mehr danach krähen, wie verdient oder unverdient, wie glücklich oder unglücklich der Senner Waldbadexpress den 4:3-Sieg bei Aufsteiger FC Altenhagen errungen hat. Wenn ich mir so die paar Zeilen der sonntäglichen Spätberichterstattung eines bekannten Online-Kreisligaportals so zu Gemüte führe, dann frage ich mich allerdings, mit wieviel Oberflächlichkeit da Analysen aus der „Hüfte“ geschossen werden. Sei es drum, ich bin ja dazu da, das ganze einmal -sicher nicht völlig ohne blau-weiße Brille- zumindest um einen Blickwinkel zu erweitern.

 

 

 

Der Waldbadexpress hat wohl derzeit die personaltechnisch katastrophalsten Wochen seit Neuauflage 2014 zu verarbeiten, die vergangenen 8 Tage haben diesen Notstand noch einmal verschlimmert, sodass man wohl mit Fug und Recht von einer äußerst prekären Lage sprechen darf, wenn nicht sogar muss.

 

Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll (zu weinen), so prekär spannte sich die Personallage bis heute 1300 Uhr an, sodass man sich unter dem Strich glücklich schätzen konnte, über einen 23 Spieler Kader zu verfügen.

 

Ich mache mir bei allen diesen Ausfällen und „Verletzungen“ so meine Gedanken, habe aber schon vor Jahren akzeptiert, dass man die Zeit nicht zurückdrehen kann und physische Robustheit oder einfach die Kunst der Härte zu sich selber, mehr und mehr zu einer Mangelqualifikation wird. Die Bandbreite der physischen Maläsen reicht dabei in der Tat von wahrhaften komplizierten Knochenbrüchen bis hin zu, ich nenne es einmal: „Aua“.

 

Dass manche Dinge und Verletzungen einfach zum tagtäglichen Lebensrisiko eines jeden, gerade unserer im Schnitt wohl sportlich aktiveren jungen Bengels gehört, ist dabei eine Tatsache, mit der sich wohl jeder Fußballclub nun einmal auseinandersetzen muss.

 

 

 

Mike Wahsner und Christian Lyko mussten gleich fünf Spieler der Anfangsformation der Vorwoche ersetzen, wobei unter der Woche gleich auch noch mögliche Alternativen wieder ausfielen und zunehmend nicht den Eindruck vermitteln, überhaupt noch als Alternative betrachtet werden zu können.

 

Moritz Dennin hatte sich im Schlussakkord gegen den VfL Ummeln eine Bänderverletzung zugezogen und musste pausieren. Mit Luka Marquardt fiel aufgrund eines familiären Trauerfalls der zweite Außenverteidiger aus. Malte Gruner hatte unter der Woche erkältungsbedingt bis Freitag pausiert und sich bei einer Freizeitaktivität einen Sehnenanriss zugezogen, Wahsner ließ ihm draußen. Auch „Roadrunner“ Matthes Schwabedissen hatte sich gegen Ummeln verletzt und das Training unter der Woche pausiert, er blieb auf der Bank. Ole Gruner hatte sich am Freitag eine komplizierte Armfraktur zugezogen und wird bis auf Weiteres ausfallen. Hinter den Namen einiger weiterer Kicker steht nach wie vor ein Fragezeichen, hinzu kam Florian Helmke, der aufgrund eines privaten Termins nicht anwesend war. Entsprechend lief zum Spiel gegen den Aufsteiger aus Altenhagen eine noch jüngere Mannschaft auf, die obendrein in dieser Konstellation noch nicht einmal zusammengespielt hatte.

 

Kopfballtorpedo gefällig? Hier "netzt" Sennes Schlimmer Finger zum Ausgleich ein!
Kopfballtorpedo gefällig? Hier "netzt" Sennes Schlimmer Finger zum Ausgleich ein!

Mike Wahsner ersetzte die angestammten Außenverteidiger vor Florian Krogmann im Tor sowie Malte Hawerkamp und Stephan Dopheide in der Innenverteidigung durch Henrik Eckseler, der den Anschluss zum 2:3 per Kopf erzielte und Til Stelbrink, der ein ordentliches Pflichtspieldebüt absolvierte. Neben Kapitän Michel Dennin wurde Ex-Junior Rufus Vicktor auf die zweite Sechs ins Debüt „geworfen“, die Zentrale erwischte aber kollektiv keinen guten Tag und konnte dem Senner Spiel nur wenige Impulse verleihen. Philipp Schlegel kam für Matthes Schwabedissen auf der einen Flanke, machte das insgesamt ordentlich, blieb aber hinter seinem eigentlichen fußballerischen Potential zurück. Simon Czernia legte zwar zwei Mal per Ecke mustergültig auf, nutzte aber seine Schnelligkeit und Dynamik gegen die insgesamt lebensältere sowie physisch robustere Heimelf kaum entscheidend aus. Sebastian Paschkowskis neuerlicher Einsatz in der Startelf war zwar von Bemühen aber von wenig Glück gesegnet und endete jäh mit Blasen an den Füßen in neuen Schuhen. Einzig Timon Finger bestätigte einmal mehr seine grandiose Form und avancierte zum Garanten für den am Ende hart erkämpften Auswärtsdreier.

 

 

 

Mike Wahsner hatte vor dem schwierigen Hintergrund mit einer kaum schön anzusehenden Partie gerechnet und beschwor seine Elf darauf, die wenigen sich bietenden Chancen effizient zu nutzen. Eine der ganz wenigen Vorgaben, die beinahe, dank Timon Finger, eingehalten wurde.

 

Der FC Altenhagen entpuppte sich recht bald als körperlich robust auftretende Mannschaft mit einem „lang vorne rein“-System. Dieses konnte die Senner Abwehr im ersten Durchgang bis auf in einer Situation wirkungsvoll unterbinden, als Florian Krogmann im eins-gegen-eins die Pausenführung für sein Team festhielt. Bereits hier zeigte sich aber erneut das Abstimmungs- und Staffelungsproblem in der Senner Innenverteidigung, das der Spvg Versmold zwei Wochen zuvor ein allzu leichtes Spiel ermöglich hatte.

 

Die Senner nutzten ihre klar überlegenen spielerischen Fähigkeiten kaum aus und machten sich entweder selber mit Fehlpässen und Ungenauigkeiten das Leben schwer oder verzettelten sich gegen den robusten Aufsteiger in Zweikämpfen. So entwickelte sich ein zähes Ringen, bei dem die Gastgeber nicht besser konnten und die Senner wohl möglich nicht besser wollten. Auch den erfahrenen Spielern auf dem Platz gelang wenig Gescheites, sodass eine schöne Kombination auf der rechten Senner Flanke letzten Endes das 1:0 per Tor des Monats ermöglichte. Endlich mal spielen die Senner einen Angriff sauber, präzise und schnell bis Philipp Schlegel durch, der Maß nimmt und stramm draufhält. Der Altenhagener Keeper hält, der Ball springt hoch ab und wir von einem Heimverteidiger nur unzureichend per Kopf geklärt, sodass Timon Finger, der mit dem Rück zur Szenerie steht, einfach mal Maß nimmt und das Leder optimal per Fallrückzieher trifft. Die Bilderbuchaktion wird belohnt, der Ball wird immer länger und schlägt im unteren, rechten Toreck ein.

 

Das war es dann auch schon mit den Highlights des ersten Durchganges, ein Spiel kaum nett anzusehen, aber mit dem 1:0 effektiv gestaltet. Bis hier her.

 

 

 

Waren die Senner eine Woche zuvor noch gestärkt aus der Pause gekommen, so entwickelte sich von der 45. bis zur 68. Spielminute die schwächste Senner Phase in dieser noch jungen Saison.

 

Zu viele Ungenauigkeiten und Fehlpässe addierten sich zu noch mehr verlorenen Zweikämpfen, sodass die spielerisch limitierten Gastgeber mit ihrer Spielweise die Schwächen der Senner Hintermannschaft gnadenlos offenlegten. Fünf Minuten nach der Pause lassen die Gastgeber eine hart und flach hereingetretene Ecke geschickt durch, die gesamte Senner Defensive ist kollektiv zu weit von den Gegenspielern entfernt, sodass der Aufsteiger nur noch zum Ausgleich den Fuß hinhalten braucht. Der Gegentreffer schien die aus der vergangenen Saison noch all zugut bekannte „Gedankenspirale“ auszulösen, anstatt sich schnell zu sammeln und mit der gebotenen Härte zurückzuschlagen, lässt man einen der zahlreichen Hoch-und-weit-Bälle der Gastgeber passieren, der einzige blitzschnelle Altenhagener, der Torjäger, bedankt sich bei der schlecht gestaffelten Senner Abwehr und lässt Florian Krogmann im eins-gegen-sein keine Chance. Ein mentaler Volltreffer konnte man meinen, innerhalb von zwei Minuten hatten die Gastgeber diese bis dahin im Großen und Ganzen wenig dynamische Partie gedreht. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Eine in der Auflösung begriffene Senner Mannschaft irrte kopflos auf dem Platz umher und rang nach einer Linie. Ständige schwere Fehler im Spielaufbau, aber auch mangelnde Laufbereitschaft und die Neigung die Partie einfach verloren zu geben schwangen in jeder Senner Aktion mit. Dennis Ambrosius war in der 61. Spielminute für Sebastian Paschkowski gekommen, allerdings erholten sich die Senner vorläufig nicht von ihrer Misere. Völlig desorientiert kann die gesamte Verteidigung in der 69. Spielminute nur noch zusehen, wie die mutterseelenallein gelassene Sturmspitze der Heimmannschaft 18 Meter vor dem Tor den Ball zugepasst bekommt und per Flachschuss ins lange Eck seine Farben mit 3:1 in Front bringt.

 

 

 

Dann ereignete sich etwas, was man wohl in dieser Form nur selten zu sehen bekommt und worüber sich das junge Senner Team einfach mal Gedanken machen sollte. Obwohl schwer angeschlagen, setzt Coach Mike Wahsner alles auf eine Karte und bringt Malte Gruner für Rufus Vicktor ins Spiel. Was sich in den nun folgenden zwanzig Minuten ereignete, hatte nichts mit der fußballerischen Qualität des Senner Ausnahmetalents zu tun, denn die war gar nicht das Ausschlaggebende. Aber diese unglaubliche Mentalität, diese sofortige enorme Präsenz, gepaart mit dem schier unauslöschlichen Willen, dieses Spiel noch drehen zu wollen, machten Malte Gruner für dieses kurz vor dem K.O. stehende Senner Team zu einer Figur der Hoffnung und das zahlte sich sofort aus.

 

Plötzlich flackerte da ein Licht im Senner Dunkeln und der Schein wies einen Weg: Nach vorne!

 

Keine sieben Minuten später profitieren die Senner nach einem Freistoß von der gütigen Mithilfe des Altenhagener Keepers, der zu spät kommt, um den von Henrik Eckseler sauber per Hinterkopf ins Tor verlängerten Ball zu entschärfen.

 

Während Malte Gruner angeschlagen den Hebel bei den Sennern umlegte, wird Bruder Ole wohl auf Wochen ausfallen. Gute Besserung, Ole Gruner!
Während Malte Gruner angeschlagen den Hebel bei den Sennern umlegte, wird Bruder Ole wohl auf Wochen ausfallen. Gute Besserung, Ole Gruner!

Jetzt ist aus dem kleinen Licht eine lodernde Flamme geworden, das gesamter Team lässt sich plötzlich nochmal mitreißen und erarbeitet sich Chancen. Altenhagen macht einen ausgelaugten Eindruck, ständig können sich die Senner auf den Flügeln durchsetzen. Der Druck wächst von Minute zu Minute. In der 80. Spielminute bringt Simon Czernia eine Ecke von links, Timon Finger steht einmal mehr in Schulbuchmanier in der Luft und wuchtet den Ball zum Ausgleich in die Maschen. Geht hier noch mehr? Drehen die Senner die Partie noch einmal?

 

Wieder Senner Durchbruch auf der Flanke, wieder retten die Gastgeber in letzter Not zur Ecke, wieder bringt Czernia den Ball gekonnt herein, wieder steht Timon Finger perfekt in der Luft, der nächste Kopfballtorpedo, wieder schlägt das Leder hart getroffen unter der Latte ein – 4:3 Senne, ein Wahnsinn!

 

Der Aufsteiger versucht sich noch einmal aufzurappeln, die Senner Abwehr wankt noch einige Male bedenklich, aber sie fällt nicht mehr. Das Spiel wird zuletzt nicklig und im Dialog auch blümerant, aber die Gastgeber haben ihr Pulver verschossen. Malte Gruner muss nach einer schönen Vorarbeit vom spät eingewechselten Matthes Schwabedissen eigentlich nur noch einschieben, scheitert aber mit der 1000%igen am alles riskierenden Altenhagener Torwart. Wie gesagt, es war nicht die rein sportliche Leistung, die Gruners großartigen Verdienst um diesen späten und kaum mehr für möglich gehaltenen Sieg ausmachte, sondern vielmehr die mentale.

 

 

 

Ein ganzer Steinbruch schien dem Senner Coach mit dem Abpfiff vom Herzen gefallen zu sein. Am Ende waren die Gastgeber müde und die Senner Mannschaft hatte noch genug Körner, um drei Tore in 10 Minuten zu schießen. Neben den wohlverdienten Punkten, sollte das gesamte Team vor allem ein mitnehmen: und zwar Erkenntnis!

 

Neben den Dingen, die die Mannschaft sicherlich intern zu besprechen hat, muss sie sich die Frage gefallen lassen, ob sie kollektiv den rechten Willen aufbringt, sich in so einem Spiel auch mal zu zerreißen. Einige tun das, ohne Frage. Klar haben einige ältere, erfahrenere Spieler heute gefehlt, aber Fußball spielen konnten alle Elf, die da heute auf dem Platz gestanden haben, und zwar recht gut! Es kann und darf vor diesem Hintergrund keine Ausrede sein, dass ja der oder der nicht dabei war. Was Malte Gruner heute eindrucksvoll bewiesen hat ist die Tatsache, dass der unbedingte Wille im Kopf die Voraussetzung dafür ist, am Ende des Tages erfolgreich zu sein. Ich will das hier nicht in epischer Länge ausbreiten, hat hier vielleicht auch nicht unbedingt etwas zu suchen, aber es ist vielleicht an der Zeit, sich mal mit allen an einen Tisch zu setzen und mal einen gemeinsamen Kurs festzulegen. So eine Saison ist nämlich lang und es ist für alle nur fair, wenn alle von demselben reden und ihren Beitrag dazu begreifen.          

 

              

 

Man of the Match: Timon Finger